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Zeltenanschneiden und Neujahranschießen
Zeltenanschneiden und Neujahranschießen

Zeltenanschneiden und Neujahranschießen

 

In vielen Teilen Tirols durfte der Zelten erst angeschnitten werden, nachdem er dreimal geräuchert worden war. Meistens wurde bzw. wird als Tag des Anschneidens der Stephanitag (26.12.) genommen. Der Zelten wird an diesem Tag zusammen mit Butter und einem „Stephani-Schnapserl“ der Familie und den auf Besuch weilenden FreundInnen aufgetischt. Aber auch der Hl. Abend (24.12.), Silvester (31.12.), Dreikönigstag (06.01.) und Sebastiani (20.01.) gelten als Zeltenanschneid-Tage.

Der nachfolgende Artikel nimmt Bezug auf ein Zeltenanschneiden zu Silvester. Er wurde uns dankenswerterweise vom Bäckermeister Mag. Karl Eller zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. 

 

Das Zeltenanschneiden in Reutte 

 

„Kumscht Zelta a(n)schneida, gell?“

So lautet die Einladung des Mädchens an den Auserkorenen. Nimmt sie der Bursche an, so ist das Bündnis meist geschlossen, wenn auch nicht verbrieft und besiegelt. Die Einladung gilt für die Silvesternacht und – gewissermaßen als vorausgehenden Dank oder auch als feierliche Erklärung: „Das ist die Meine!“ schießt der Bursche der Liebsten oder auch nur Verehrten das Neujahr an! Es geschieht, bevor oder während die Silvesterglocken den Abschied des alten Jahres und den Beginn des neuen verkünden.

Wer einen Stutzen oder Revolver hat, der schießt es wirklich an, die anderen helfen sich auf andere Weise. Es werden z. B. mit dem alten, daher wuchtigen eisernen Türklopfern mehrere Schläge an der Haustür hervorgerufen, oder der Bursche vollbringt mittels eines Helfers einen knallähnlichen Lärm, indem sie große, lange Holzläden, so wie sie aus der Säge kommen, scharf auf die Erde fallen lassen.
Aber das Vornehmste bleibt immer das Anschießen mit einer Schusswaffe, an der auch da draußen kein Mangel ist, schon weil die Jagdfreude und, wenn es nicht anders geht, die Wilderer-Leidenschaft gerade so im Blute der Außerferner und Lechtaler spukt, hüben und drüben der bayrischen Grenze, wie drinnen in den Gebieten Innertirols! Mit der Schusswaffe wird knapp vor der Tür des Mädchens geschossen – je öfter desto schöner und besser – das natürlich, wenn es seiner Sache nicht ganz sicher isst, klopfenden Herzens hinter dem Fenstervorhang Ausblick hält.

Nach dem Schießen erwartet und bewillkommnet man den Geladenen dann schon bei der Tür. Der mündliche Neujahrsgruß wird ausgetauscht und – wenn oder weil es niemand sieht – auch die der Festfeier entsprechenden Neujahrsküsse.

Dann geleitet die Beglückte den Zeltenanschneider in die Stube, allwo schon der Tisch gedeckt ist und der Zelten in der Mitte prangt.
Der Bursche selbst schneidet den Zelten an, indem er ein Randstück, den sogenannten "Zeltenscherz", herunterschneidet. Und – ist es Spaß, ein Sparsamkeitskniff oder eben nur ein alter Brauch, aus was immer für einen Grund – die schöne „Reuttenerin“ hatte zuvor in den zum Backen fertigen Teig einen Holz- oder Eisenring waagrecht hineingedrückt, vielleicht zwei Finger breit innerhalb der Rinde. Der Ring gebietet dann beim Zeltenanschneiden dem vielleicht zu weit ausgreifenden Messer des Anschneiders plötzlich ein geräuschvolles „Halt!“ und weist die Grenze außerhalb des von außen unsichtbaren Ringes an.

Diesen "Rand" oder "Scherz" darf der Bursche mit nach Hause nehmen. Vom angeschnittenen Zelten aber darf noch an Ort und Stelle nach Appetit gegessen und dazu Kaffee, Tee oder, wenn es hoch hergeht, auch Glühwein getrunken werden.

Gewiss ist es jedoch, dass das Zeltenanschneiden und Neujahranschießen häufig so viel gilt, wie ein gegenseitiges Versprechen für´s Leben.

(Quelle „Tiroler Heimatblätter“, Jahrgang 1930) 
 

 

Kommentar von Rosa:

„Scherz“ bzw. „Scherzerl“ wird inzwischen ja jeder Brotanschnitt genannt. - Bis zu Karls Zeltengeschichte konnte ich mir keinen Reim darauf machen, warum ausgerechnet dieses härtere Stück „Scherzerl“ genannt wird!? -  So wie sich dieser Bericht liest, war der öffentlich  geschenkte Zeltenanschnitt ein Symbol für zugestandene Zärtlichkeiten (Scherz/erl) der Umworbenen, die sie mit dem Werber bis zur Hochzeit auszutauschen geneigt ist. Der Ring bildet ja die eindeutig hör- und spürbare Grenze des Zugestandenen ;)  Der große „Rest“ kommt erst nach der Vermählung!