Sorry, you need to enable JavaScript to visit this website.
Brotmangel und Hunger - die siamesischen Zwillinge
Brotmangel und Hunger - die siamesischen Zwillinge

Foto: Das Franziskanerkloster in Reutte, Tirol, im Jahre 2011

Brotmangel und Hunger - die siamesischen Zwillinge

 

Brotmangel und Hunger – Die siamesischen Zwillinge
(Dieser – leicht gekürzte - Artikel wurde uns dankenswerterweise vom Bäckermeister Mag. Karl Eller, der auch einige Jahre als Berufsschullehrer in Reutte tätig war, zur Verfügung gestellt.)

 

Nachdem Brot und Getreide über Jahrtausende zu den wichtigsten Nahrungsmitteln zählten, war deren Mangel eindeutiger Indikator für bevorstehende oder bereits vorhandene Hungersnöte. Auch in der Gegenwart wird uns diese Geißel der Menschheit von den Medien immer wieder in einem erschreckenden Ausmaß vor Augen geführt. Es gibt eine Vielzahl von Ursachen, die für Hungersnöte verantwortlich gemacht werden, letztendlich können aber immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen für große Hungersnöte ausgemacht werden.

Hungersnöte waren aber auch immer wieder ein Beweis dafür, dass scheinbar gefestigte und eingeübte Zivilisationsmuster im Bereich der Ernährung zu allen Zeiten während einer solchen schlimmen Phase zusehends verloren gingen, und am Ende dieser Entwicklung der Verzehr von Erdreich und Menschenfleisch stand, wie dies anhand einer lokalen Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg und einer Schilderung der Verhältnisse in Paris während des deutsch-französischen Krieges im Jahre 1870/71 eindrucksvoll belegt werden kann.

Je länger die Hungersnot dauerte bzw. je größer das Ausmaß der Hungersnot wurde, umso mehr war man bereit, auch die ungenießbarsten Dinge zu essen, um nur den immer schlimmer werdenden Hunger zu stillen. Dabei war man auch bereit, für die ekelhafteste Kost Unsummen zu bezahlen. So kostete eine Rattenmaus 1634/35 vier Gulden. Der gleiche Geldbetrag hätte 1618 noch gereicht, um ein fettes Rindvieh zu bekommen.

Als tragische Nebenerscheinung hatten Hungersnöte aber immer auch eine Verwahrlosung der menschlichen Umgangsformen zur Folge und wurden auch stets begleitet von einer zunehmenden Destabilisierung der sozialen Grundordnung innerhalb der betroffenen Gesellschaft. Auch religiöse bzw. christliche Erklärungsversuche reichten lediglich aus, um die betroffenen Menschen zu trösten. Nach einer Hungerkatastrophe dauerte es oft mehrere Jahre, bis sich eine stabile gesellschaftliche Situation wieder entwickeln und das Trauma der vergangenen Hungersnot überwunden werden konnte.

Auch die Bevölkerung von Tirol wurde im Laufe seiner Geschichte immer wieder von kleineren und größeren Hungerkatastrophen heimgesucht.

Für den Großraum Tirol wirkte sich vor allem die ungünstige geographische Lage nachteilig aus. So verging in Tirol bis zum Ende des II. Weltkrieges kein Jahrzehnt, in welchem nicht im ganzen Land, in Teilen davon oder in einer Talschaft eine Hungersnot zu beklagen gewesen wäre.

Ein weiteres Problem war für Tirol die exponierte territoriale Position innerhalb des Habsburgerreiches.
Die Getreidekammer des Habsburgerreiches befand sich im Osten des Reiches und die Getreideversorgung in Tirol war, bedingt durch die damaligen Transportmöglichkeiten, äußerst zeitaufwendig und kostspielig. Die für Tirol günstigen Importländer wären daher der oberitalienische und bayrische Raum gewesen. Politische Entwicklungen und Einfuhrverbote hatten des Öfteren den Import aus diesen Ländern verhindert bzw. stark eingeschränkt. Diese extreme Importabhängigkeit bei Getreide führte immer wieder zu einem dramatischen Getreidemangel in Tirol.
Als besonders krasses Beispiel soll hier das Jahr 1847 erwähnt werden, wo in großen Teilen von Tirol wieder einmal eine Hungersnot zu beklagen war.

 

Auch der heutige Bezirk Reutte (Außerfern) war von dieser Hungersnot arg in Mitleidenschaft gezogen. Ein Großteil des Getreidebedarfs musste wie immer aus den Kornkammern des Habsburgerreiches von weit her eingeführt werden. Nun traf es sich aber zufällig, dass gerade in diesem Jahr der Getreidepreis im benachbarten Bayern um 70% billiger und dort Getreide im ausreichenden Ausmaß vorhanden war. Deshalb wandten sich die politisch Verantwortlichen im Bezirk Reutte zuerst an die zuständigen Stellen in Wien und später noch einmal an den Kaiser persönlich, um in Anbetracht der extremen Nahrungsmittelknappheit bei einer großen Anzahl von Menschen im Bezirk eine einstweilige Aufhebung des Importverbotes von Getreide aus Bayern zu erreichen.
   Auf beide Bittschreiben gab es keinerlei positive oder negative Reaktion aus Wien. Die Folge waren eine verstärkte Schmuggeltätigkeit mit dramatischen Grenzzwischenfällen und eine immer gewaltbereitere Bevölkerung im Kampf um die noch vorhandenen Nahrungsmittel.
   Zur allgemeinen Beruhigung kam es erst, als die Ordensgemeinschaft der Franziskaner in Reutte ihre Mitbrüder in München um Unterstützung baten. Die vorgebrachten Sorgen und Nöte fanden beim König von Bayern Gehör, und er hob kurzfristig das Exportverbot nach Tirol auf. Damit konnte die Bevölkerung im Bezirk Reutte vor einer noch größeren Katastrophe bewahrt werden.
   Zu einem späteren Zeitpunkt hat sich die Bevölkerung im Außerfern auf ihre Weise einerseits für die Hilfsbereitschaft des bayrischen Königs bedankt und andererseits die Ignoranz des Kaisers bei ihrem damaligen dringlichen Anliegen nicht vergessen.
   So wurde der österreichische Kaiser Franz Joseph bei einem Besuch in Reutte im Jahre 1850 in einer äußerst kühlen und distanzierten Atmosphäre empfangen. Viele Männer waren angeblich nicht einmal bereit gewesen, vor dem Kaiser den Hut zu ziehen.
   Ganz anders hingegen verlief der Besuch des bayrischen Königspaares ein Jahr später, welches mit großem Jubel empfangen wurde. Um die Dankbarkeit besonders zum Ausdruck zu bringen, hatte man sogar einen Triumphbogen errichtet.